Ausstellungstipp: EINE STADT WIRD BUNT
Im Museum für Hamburgische Geschichte in St. Pauli könnt ihr noch bis zum 7. Januar 2024 atemberaubende Street-Art bewundern und in die Welt der Sprayer eintauchen.
Die Ausstellung „EINE STADT WIRD BUNT. Hamburg Graffiti History 1980 – 1999“ sollte ursprünglich nur bis zum 31. Juli 2023 laufen, wurde aber aufgrund des bahnbrechenden Erfolgs bis zum Beginn des kommenden Jahres verlängert. Und das aus gutem Grund: Sie liefert spannende Insights in die oldschool Graffiti Subkultur, die Hamburg revolutioniert hat. Maßgeblich dazu beigetragen haben die spannenden Führungen.
Die ehemaligen Graffiti Writer Frank Petering und Mirko Reisser nehmen euch mit auf einen historischen Streifzug und das macht das Erlebnis erst richtig authentisch. Der Rundgang durch das Museum macht Lust auf mehr, denn er ist angereichert mit vielen persönlichen Erfahrungen und Anekdoten, der ehemaligen Sprayer.
„Es war eine Rock ‚n‘ Roll-Zeit, also es war etwas Neues, etwas Gewagtes, man kannte kaum jemand in der Szene in den frühen Zeiten.“
Wo ist die Sonderausstellung?
Die Sonderausstellung ist ein wenig versteckt. Sie befindet sich in einem privaten Raum im hinteren Teil des Museums. Wenn du danach fragst, erklärt dir die nette Dame, die am Empfang arbeitet, natürlich gerne den Weg dorthin.
Sobald du die Tür zur Ausstellung öffnest, siehst du einen riesigen weißen Raum vor dir. Doch er ist nicht leer. Sofort werden dir die großen bunten Classic Graffiti Kunstwerke ins Auge stechen, die die Wände schmücken.
Die beiden Graffiti-Künstler Frank Petering und Mirko Reisser erzählten uns den Hintergrund dieser Bilder: „Das Altona Museum stellte im Jahr 1991 Graffiti aus. Und im Rahmen dieser Ausstellung gab es immer wieder einen Wettbewerb, um Sprüher anzulocken. Die Wand, die wir hier sehen, hat den ersten Platz bei diesem Wettbewerb gewonnen und die Leinwand, die hier hängt, den zweiten Platz.“
Die frühen Anfänge in den 1980er-Jahren
Inspiriert von der Hiphop-Kultur und der Street-Art-Szene der USA zogen Jugendliche nachts mit Sprühdosen durch die Hansestadt und hinterließen bunte Bilder, Zeichen oder Schriftzüge an Wänden, Brücken und Bahnwaggons.
„Ich mag einfach den alten Graffiti Style“
Für viele Hamburger war das keine Kunst, sondern nichts weiter als Vandalismus. Andere erkannten in den Bildern dagegen eine Art Kulturrevolution – von der langweilig grauen und konservativen Landschaft hin zu der modernen, bunten und vielfältigen Stadt.
„Das erste Graffiti Corner in Hamburg war die S-Bahn-Station Langenfeld. Da haben sich immer samstags nachmittags die Writer getroffen – so ab 17:00 Uhr. Sie haben sich die Lines angeguckt, aber auch die S-Bahnen voll getaggt, waren Bahnsurfen, Ghettoblaster wurden mitgenommen, einige sind auch in die Cockpits reingekrabbelt und haben gebeatboxt. Die Writer hatten eine Riesenfreude daran“, so Frank Petering und Mirko Reisser.
Von der unliebsamen Schmiererei zur gefeierten Street-Art
Was einige Graffiti-Künstler zaubern können, ist einfach erstaunlich. Heutzutage ist die Erzählung, Graffiti sei Vandalismus fast verschwunden und wurde durch das Wort „Straßenkunst“ ersetzt.
Das war auch längst überfällig. Dennoch haben die sogenannten Graffiti-Writer der 1980er und 1990er Jahre sich nicht immer auf legalen Wegen bewegt, um sich mit ihren Kunstwerken auszudrücken.
Am Rande der Legalität
„Hier sieht man auch vieles fürs illegale Sprayen, wenn man ins Zug-Depot rein möchte. Die Sturmhaube benötigt man, weil man ja nicht erkannt werden möchte, sollte es doch einmal eine Konfrontation mit der Polizei geben. Des Weiteren sind hier verschiedene Edding-Marker, Schuhcreme und andere Utensilien zu sehen, die gerne benutzt wurden, um Tags an den Bahnen, Hauswänden usw. zu hinterlassen“, erklären die Ex-Sprayer.
All diese Tools gehören noch heute zur Standard-Ausrüstung eines Profis, der im Geheimen operiert.
Über Dosen, Farbe und Diebstahl
In der Vergangenheit waren die Möglichkeiten stark begrenzt, während heutzutage beispielsweise mit speziell angefertigten Sprühdosen hantiert wird. Das verlangte den Künstler:innen viel Improvisationstalent ab, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.
„Früher war alles mehr so learning by doing. Man musste in Baumärkte und Kaufhäuser gehen und hat sich durchprobiert, um herauszufinden, welche Dosen sich gut für Graffiti eignen und welche nicht“, erklären Mirko Reisser und Frank Petering.
Und sie ergänzen: „Die Sprühdosen haben Sprüher oftmals geklaut, weil die Dosen recht teuer waren. Eine kostete so um die 15 Mark. Man brauchte für ein größeres Graffiti-Bild allerdings mindestens 10 davon, das dürfte bei den meisten Jugendlichen das monatliche Taschengeld-Budget bei weitem gesprengt haben.“
Schnappschüsse für die Erinnerung
Die Ausstellung zeigt auch Fotos, die Graffiti-Writer von ihrer Arbeit gemacht haben, um sie im analogen Zeitalter stolz mit anderen zu teilen. So konnten sie nicht nur von den Leuten vor Ort, sondern auch mit Freunden, Bekannten und der Community außerhalb der Stadt geteilt werden.
„Sie zeigen die ganzen alten Graffiti-Maler. Das sind meine Helden von früher. Ich bin so viel S-Bahn gefahren und sie haben es viel schöner gemacht!“
„Man muss sich vorstellen, es war eine Zeit ohne Handys ohne Internet ohne alles. Es wurden auch Brieffreundschaften unterhalten in anderen Städten, und anderen Ländern. Und das alles einfach nur um zu sehen, was für Graffitis es gab. So haben Sprüher auch für sich unglaublich große private Archive einfach mal so angelegt, mit Graffitis aus aller Welt, welche dann auch wiederum in ihren Magazinen landeten“, sagen die Kuratoren.
Graffiti-Magazine für die Szene
In jener Zeit schufen die Künstler:innen ferner auch selbstgemachte Magazinen, in denen sie die Kunst, die sie machten oder die sie in der Stadt sahen, einem breiteren Publikum zugänglich machten.
„Es gab immer wieder Sprüher, die sich gesagt haben, es wäre ganz cool irgendwie mehr zu sehen – auch was in anderen Städten abgeht, gerade besprühte Züge in Hamburg. Man wollte als Sprüher natürlich sehen, was gerade so passiert. Man war ja nicht immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. So haben dann einzelne Sprüher angefangen, Graffiti-Magazine zu machen“, so die Ex-Sprayer.
Mehr als Graffiti
Da die Sprayer-Szene sehr stark von der Bewegung in den Vereinigten Staaten beeinflusst wurde, setzte sich auch in Deutschland der Hip-Hop-Style allmählich durch. Breakdance, Hip-Hop und Sprayen gehören zusammen, wie die Fischsemmel und Hamburg.
Doch die fancy Kleidung, die speziellen Marken und die begehrte Musik waren hier in Deutschland nicht immer leicht zu bekommen.
„Man muss sich das so vorstellen, man kriegt diese Sachen hier nicht. Man möchte so aussehen, man kann aber nicht in den Laden gehen und sagen: ‚ich kauf’ mir mal Superstars, ich kauf’ mir mal das und das‘, das gabs damals einfach nicht. Es gab kein Internet, keinen großen Versandhandel, die Welt war sozusagen noch viel kleiner, denn man konnte sich nicht einfach in Amerika was bestellen oder in Australien oder sonst wo“, erklären die beiden Kuratoren.
„Ich liebe Graffiti, seitdem ich klein bin. Der Aufwand und die Kreativität dahinter fasziniert mich immer noch“
Kreativität und Improvisation spiegeln sich auch im Kleidungsstil wider
Das bedeutete, dass die Graffiti-Künstler auch ihren Kleidungsstil anpassen mussten. Sie besprühten ihre Mützen oder modifizierten ihre T-Shits und Jacken mit selbst produzierten Kunstwerken.
Nach Aussage der beiden ehemaligen Sprayer war es sehr beliebt, eine Leinwand zu besprühen, das Kunstwerk auszuschneiden und sich auf die Jeansjacke oder Hose zu nähen, um bei der nächsten Hip-Hop-Jam aufzufallen. So konnte man jedem zeigen, was man so drauf hat.
Das Highlight der Ausstellung
Aber wie haben die jungen Wilden eigentlich gelebt? Diese Frage beantworten die Kuratoren mit einer exakten Nachbildung des Jugendzimmers eines Graffiti Writers.
„Dies ist eins der Highlights der Ausstellung. Wir haben hier ein Zimmer eines heranwachsenden jungen Graffiti-Sprühers nachgestellt. Wir haben uns gedacht, wir möchten gerne zeigen, wie es damals so ausgesehen hat in den Buden. Man kann das natürlich über Bilder ganz gut transportieren, aber wir haben gesagt nein: Wir möchten was haben, was man erleben kann. Wir wollten einen Raum im Raum erschaffen. Alles, was wir dort ausgestellt haben, stammt original aus der Zeit“, sagen Mirko Reisser und Frank Petering stolz.
Mein Fazit
Wow! Ich glaube, ich muss die Eindrücke erst einmal auf mich wirken lassen. Aber eines ist sicher: Ich bin begeistert von dem Tatendrang und Mut, der jungen Künstler, die Street-Art in Deutschland salonfähig gemacht haben.
Die Ausstellung war unglaublich kreativ. Dass sich die Künstler oftmals am Rande der Legalität bewegten, finde ich zwar nicht so toll, aber der Zweck heiligt die Mittel. Und manchmal müssen eben Grenzen überschritten werden, um etwas Altes hinter sich zu lassen und Raum für Neues zu schaffen.
Alles in allem war es eine wirklich coole Erfahrung, die mich zu den Ursprüngen der Subkultur zurückgeführt hat, die mit ihrer rebellischen, einfallsreichen und fantasievollen Art die kreative Hamburger Szene geformt hat.
Falls dir die Ausstellung nicht genug war, kannst du dir eine App herunterladen, in die ein interaktiver Stadtplan der Hansestadt integriert ist. Mit diesem AR-Tool kannst du die Graffiti-Kunst der Stadt virtuell erkunden.
Wo kann man die Ausstellung besuchen?
Im Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, 20355 Hamburg.
Bis wann kann ich die Ausstellung noch besuchen?
Ursprünglich sollte die Ausstellung bis zum 31. Juli 2023 gehen, aber sie wurde bis zum 7. Januar 2024 verlängert!
Öffnungszeiten:
- Montag 10:00 – 17:00 Uhr
- Dienstag geschlossen
- Mittwoch 10:00 – 17:00 Uhr
- Donnerstag 10:00 – 21:00 Uhr
- Freitag 10:00 – 17:00 Uhr
- Samstag bis Sonntag 10:00 – 18:00 Uhr
Wie viel kosten die Tickets für die Ausstellung?
- 5,00 Euro für Vollzahler
- 4,00 Euro für Gruppeneintritt
- 3,00 Euro für Ermäßigte
- 3,00 Euro mit Hamburg Card
- 3,00 Euro für Schüler:innen, Studierende, Azubis, Arbeitslose, Schwerbehinderte
Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist der Eintritt frei.
(EINE STADT WIRD BUNT. / Museum für Hamburgische Geschichte / DA)