Studieren mit Legasthenie
Eine sogenannte Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) fällt meistens schon im Kindesalter auf. Vielleicht war es bei dir auch so: wenn in der Klasse laut vorgelesen werden sollte, brach bei dir die Schockstarre aus. Stockend hast du versucht dich von Wort zu Wort bzw., schlimmer noch, von Buchstaben zu Buchstaben, zu hangeln. Oder du hast beim Erlernen der Schrift immer wieder Fehler gemacht, während deine Klassenkamerad:innen in Diktaten besser und besser wurden.
Das Bewusstsein für Legasthenie hat zum Glück in den letzten Jahren zugenommen. Dadurch sind Stigmatisierungen deutlich weniger geworden und das Verständnis für die Herausforderungen dieser Erkrankung höher. Mittlerweile weiß man, um die Schwierigkeiten mancher Menschen, flüssig zu lesen oder korrekt zu schreiben, und schließt dann nicht mehr automatisch auf eine verminderte Intelligenz.
Denn damit hat es rein gar nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine angeborene Störung im Gehirn, die von der WHO als Krankheit anerkannt ist. Worin genau die Ursache für diese besteht, ist leider noch nicht tiefer erforscht. Angenommen werden genetische Veranlagung bzw. Probleme bei der auditiven und visuellen Wahrnehmungsverarbeitung, sowie der Verarbeitung von Sprache überhaupt. Körperlich nachweisen, zum Beispiel mit einem Scan des Gehirns, lässt sich die Störung bedauerlicherweise auch nicht.
Was sind Symptome von Legasthenie?
Als Symptome gelten die zuvor schon erwähnten beiden Merkmale. Zum einen die enormen Schwierigkeiten beim Lesen, weil die Buchstaben einfach keinen zusammenhängenden Sinn ergeben wollen. Und beim Schreiben fehlt oft der innere Bezug zum Wort. Ob Vater oder Fater macht keinen Unterschied. Beim nächsten Versuch kann daraus auch ein Vatär werden. Fies daran ist, dass selbst durch wiederholtes und intensives Üben, kein Fortschritt eintritt. Das kann dich als Betroffen:e verständlicherweise in den Wahnsinn treiben.
Spannend ist zu wissen, dass es sehr unterschiedliche Ausprägungen gibt. Nicht jede:r mit LRS kann schlecht lesen. Manche können das sogar im Gegenteil überragend gut. Nur beim Schreiben hört es dann auf.
Typische Legasthenie-Fehler sind dabei:
- Das häufige Vertauschen von Buchstaben. Aus „ist“ wird schnell „sit“ oder ganz klassisch aus „auch“ wird „auhc“. Und das immer wieder.
- Phonologische Fehler: Schwierigkeiten beim Erkennen und Verarbeiten von Lauten. Das heißt, Wörter werden falsch ausgesprochen und dann auch geschrieben. Zum Beispiel bei „Schmetterling“ hin zu „Schmetterlin“.
- Wortverwechslungen: Ähnlich klingende Wörter werden häufig verwechselt und falsch verwendet.
- Falsche Satzstruktur: Sätze sind unvollständig oder grammatikalisch inkorrekt.
- Ein gestörter Lesefluss.
- Wortfindungsstörungen: manchmal will einfach nicht das richtige Wort kommen, wodurch Pausen oder Umschreibungen entstehen.
- Verwechslung von Groß- und Kleinschreibung
- Zahlenverdreher: gehören tatsächlich auch hierzu. Beim Lesen wird dann aus einer 32 eine 23.
Studium mit Legasthenie – geht das?
Eines vorweg: das geht! Auch wenn du als Erwachsene:r diese Störung nicht automatisch loswirst, kannst du das auf jeden Fall schaffen.
Sicherlich hast du bei deiner Berufswahl lange überlegt, wie eine Ausbildung oder Studium funktionieren soll. Gerade an der Universität legt man bekanntlich viel Wert auf ein sehr gutes sprachliches Verständnis. Voraussetzung für das Studium ist die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift, heißt es an vielen Universitäten.
Das kann eine:n Legastheniker:in ganz schön einschüchtern. Schließlich musst du sehr, sehr viel lesen und schreiben. Egal was du studierst, wissenschaftliche Texte werden dein täglicher Begleiter. Wirkt sich die LRS bei dir auf das verstehende Lesen aus, ist das natürlich nicht ganz unproblematisch. Hausarbeiten und Prüfungen stehen ebenfalls regelmäßig an.
Hörbücher und Co.
Natürlich musst du aber nicht immer alle Texte lesen, du kannst sie dir auch ganz anhören – über Hörbücher, Podcast und Co. - oder als Zusammenfassung, bspw. über Blinkist.
Vielleicht macht dir auch die Vorstellung Sorgen, wie deine Kommiliton:innen auf deine Problematik reagieren. Wobei das eigentlich der allerletzte Punkt ist, der dich bekümmern sollte. Wie also mit der Situation umgehen? Grundsätzlich steht einem Studium auch mit LRS nichts im Weg. Folgendes musst du dir vorher unbedingt klarmachen:
- Deine LRS wird dich während deines Studiums permanent begleiten und es wird definitiv herausfordernd, stressig, und bestimmt auch oft frustrierend.
- Du wirst dich häufig erklären müssen. Gegenüber den Lehrenden, Prüfungskommissionen und Mit-Studierenden.
- Du wirst eher etwas länger brauchen. Setz dich nicht unter Druck. Schreib deine Texte in Ruhe.
- Das Gefühl der Überforderung wird dir öfters begegnen. Fun Fact: deinen Kommilitonen:innen ebenfalls, nur vielleicht an andere Stelle.
- Menschen, die unpassende Kommentare abgeben, gibt es auch an Universitäten. Bereite dich innerlich auf darauf vor.
Der eigentlich einzig sinnvolle Tipp: Gehe trotz aller Widrigkeiten offen mit deiner LRS um. Kopf hoch, es gibt keinen Grund, dich zu verstecken. Sei proaktiv. Warte nicht, bis andere es merken, sondern steh dazu. Das erspart dir viel Stress und Ärger.
Legasthenie im Studium – welche Hilfe steht dir zu?
Wichtig für dich zu wissen ist, dass dir individuelle Nachteilsausgleiche zustehen. Deine Erkrankung ist offiziell von der WHO als Behinderung anerkannt. Und das sind gute Nachrichten, auch wenn es im ersten Moment eventuell etwas irritierend für dich klingen sollte. Denn durch diese Anerkennung stehen dir gewisse Erleichterungen zu. Diese solltest du auf jeden Fall einfordern!
Möglich sind Beispielsweise:
- Zeitverlängerung bei Klausuren, Diplom-, Examens- und Seminararbeiten
- Bei schriftlichen Prüfungen kann die Benutzung eines Computers mit Rechtschreibprüfung erlaubt werden
- Schriftliche Prüfungen können in eine mündliche umgewandelt werden
- Beantragung von Notenschutz, d. h. keine Abzüge durch Rechtschreibfehler
- Unterstützung durch Mitschreibassistenz
- Begleitpersonen in Prüfungen, die Aufgaben vorlesen und erklären
Am besten gehst du gleich zu Anfang deines Studiums zum Prüfungsamt. Dort wird man ein Gutachten von dir haben wollen. Falls du noch keines hast, wende dich an eine:n Psycholog:in oder Psychiater:in. Nach ein paar Tests erstellen dir die in der Regel eines.
Es gibt auch technische Hilfsmittel, die du vielleicht schon kennst. Zum Beispiel die Verwendung von vorgelesener Literatur, die Sprachausgabe am PC oder die Umwandlung von Schriftstücken in Audiodateien.
Nimm Kontakt zu dem/der Behindertenbeauftragte:n deiner Hochschule auf. Hier bekommst du Hilfe und Beratung!
Übrigens besteht auch die Option auf finanziellen Unterstützung. Die Finanzierung von studienbezogenen, individuell erforderlichen Hilfen kann unter bestimmten Voraussetzungen über die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (SGB XII) erfolgen. Hierbei kann dich der/die Behindertenbeauftragte ebenfalls beraten.
Was für Stärken haben Legastheniker?
Bevor du jetzt immer noch zweifelst, ob du das mit dem studieren hinbekommst, hier noch ein paar Gedanken dazu. Du hast die Schule erfolgreich abgeschossen und dein Abitur gemacht. Das sind für jeden Menschen große Meilensteine, aber für dich besonders. Weil du dafür mehr leisten musstest. Deine Hürden waren höher und du bist trotzdem drüber gekommen.
Um deinen Alltag zu bewältigen, hast du mittlerweile gute Strategien gefunden. Am PC nutzt Programme, die deine Texte auf Fehler überprüfen. Am Handy reißt es oft die Worterkennung raus. Bücher gibt es auch als Hörbuchvariante oder du lässt dir eben Zeit.
Sicherlich hast du schon bemerkt, dass eine Art Ausgleich stattgefunden hat. Menschen mit Legasthenie entwickeln andere Fähigkeiten. Häufig werden ihnen bessere soziale Kompetenzen nachgesagt, bessere Merkfähigkeit, bessere Problemlösekompetenzen oder musische Begabung. Hierfür fehlt zwar der wissenschaftliche Background, dennoch kannst du das eventuell für dich bestätigen.
Ein weiterer Schlüssel zu deinem (weiteren) Lern-Erfolg liegt in deinen ganz eigenen Lernstrategien. Wahrscheinlich nutzt du bereits visuell-auditive Hilfsmittel wie Audiobücher und Videos zum Lernen, oder du teilst deine Stoffe in kleinere Abschnitte und nutzt Mind-Maps. (Falls nicht, probiere es aus!) All das wird dir auch an der Universität zur Verfügung stehen und helfen.
Also, schau dir an, wie weit du schon gekommen bist – und dann auf ins nächste Abenteuer! Hilfe und Tipps findest du außerdem auf den folgenden beiden Portalen. Schau sie dir unbedingt an!
Hier findest du weitere Unterstützung:
(IU/Hochschule Oldenburg/Bundesverband Legasthenie und Dyslexie/Deutsches Studierendenwerk/CHHI)