Mental Health

Psychische Krankheiten – Problem bei Bewerbung?

Junge Frau sitzt deprimiert auf dem Boden.
Wie mit einer psychischen Erkrankung im Arbeitsumfeld umgehen – dieser Frage gehen wir für dich nach. (Foto: Dragana Gordic/stock.adobe.de)
Bist du von einer psychischen Krankheit betroffen, und fragst dich, wie du damit im Berufsleben umgehen sollst? Wir haben da ein paar Tipps für dich.
Mittwoch, 08.01.2025, 14:30 Uhr, Autor: Christine Hintersdorf

Der Start ins Berufsleben ist für die meisten eine Herausforderung. Raus aus dem bekannten Unialltag, rein in eine andere Welt. Klar, wenn du während des Studiums gearbeitet hast, kennst du dich natürlich schon aus. Aber ein regulärer Job ist noch mal eine ganz eigene Geschichte. Besonders, wenn du befürchtest, aufgrund von einer mentalen Erkrankung Schwierigkeiten zu haben, eine Anstellung zu finden.

Die große Frage, die jede:r Betroffene kennt, lautet: Wie soll ich damit umgehen? Offen darüber sprechen oder besser verheimlichen solange es geht? Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Die eine Antwort dazu können auch wir dir nicht geben. Aber wir können dir helfen, für dich einen guten Umgang mit der Situation zu finden.  

Leben mit einer psychischen Erkrankung

Depressionen, Ängste, Suchterkrankungen, Essstörungen oder Persönlichkeitsstörungen – das Feld für seelische Erkrankungen ist groß. Im Alltag, an der Uni oder im Berufsleben treffen wir hingegen erstaunlicherweise wenige Menschen mit derartigen Problemen. Dabei ist die Zahl der Betroffenen in Deutschland durchaus hoch. Die Kliniken sind voll, Therapieplätze kaum zu bekommen. Alleine kannst du also mit deiner Erkrankung wirklich nicht sein.

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Offensichtlich wird aber nicht darüber gesprochen. Warum? Hier eine einfache Antwort: Weil noch immer ein Stigma mit seelischen Beeinträchtigungen verbunden ist. Jemand, der noch nie mit seelischen Störungen in Berührung gekommen ist, kann zunächst mit Abwehr auf das Thema reagieren. Manche wollen sich auch nicht mit Depressionen oder Ähnlichem auseinandersetzen.

Andere wiederum haben eine vorgefertigte Meinung, gespeist aus Vorurteilen, halbgaren Informationen und Hörensagen. Für einige ist das Thema einfach mit Unbehagen bis hin zur Angst vor dem Unbekannten verbunden. Leider tragen auch die Medien ihren Teil dazu bei. Gerade wenn von Menschen berichtet wird, die wahllos Leute angegriffen haben, heißt es schnell, der/diejenige sei an Schizophrenie oder der gleichen erkrankt.

Welches Bild entsteht dadurch? Dass jede:r mit Schizophrenie eine potenzielle Gefahr darstellt? Das seelische Störungen unberechenbar machen? Das ist natürlich absoluter Blödsinn. Gerade in den älteren Generationen gibt es leider noch solche seltsamen Überzeugungen. Zum Beispiel Depressive seinen einfach nur faul, zu sensibel oder selber Schuld an ihrer Lage. Die müssten sich einfach mal zusammenreißen, dann wäre alles wieder ok.

Nicht wenige nehmen ganz schnell Abstand, wenn jemand in der Öffentlichkeit mit sich selber spricht oder sich sonst wie auffällig verhält. Auch bei Zwangs- oder Angststörungen stehen nicht-Betroffene zumeist eher ratlos daneben. Der Leidensdruck der Erkrankten erschließt sich für die Umwelt in aller Regel nicht.

Was folgt, kann Unverständnis bis hin zur Ablehnung sein. Warum? Nun ja. Lange Zeit war das Thema tabuisiert. Psychische Erkrankungen wurden möglichst geheim gehalten und nicht darüber gesprochen. Lange sprach man im Volksmund von Irrenhäusern. Aber auch das Wort „Psychiatrie“ ist bis heute mit Stigmata verbunden

Seelische Störungen in der Bewerbung und im Beruf offenlegen? Ja oder nein?

An dieser Stelle, ein Hoch auf die Gen Z – denn du bist es, der/die dafür sorgt, dass ein Wandel eintritt. Es ist deine Generation, die endlich offen mit seelischen Erkrankungen umgeht. Sei es auf Instagram, TikTok oder wo auch immer. Immer mehr junge Menschen sprechen im Netz frei über ihre seelischen Nöte, und das ist gut so. 

Dummerweise sind die Arbeitswelt von heute und die sozialen Medien zwei vollkommen verschiedene Welten. Denn in Unternehmen herrscht häufig noch der alte Mief – wer anders tickt, fällt unangenehm auf. Themen wie Burnout oder Depressionen sind nach wie vor vielerorts noch tabuisiert. Das ist schade, aber eine Realität, mit der du dich auseinandersetzen musst. Am besten, bevor du in einem neuen Job startest. 

Setz dich mit der Situation auseinander. Warte nicht erst, bis du im Vorstellungsgespräch oder an deinem neuen Arbeitsplatz bist, um für dich die Frage zu klären: Darüber sprechen oder nicht? 

Warum solltest du das tun? Stell dir die Situation vor, dass dein Gegenüber im Bewerbungsgespräch fragt: Gibt es etwas, was Sie uns noch erzählen sollten? Oder: Haben Sie irgendwelche psychischen Vorerkrankungen? Sind Sie schon mal ausgefallen, wegen einer psychischen Problemen? 

Das kann beispielsweise passieren, wenn das Unternehmen gerade einen akuten Fall zu verarbeiten hat. Ein:e Mitarbeiter:in mit Burnout etwa, und gerne „auf der sicheren Seite“ sein will. In solch einer Situation ist es besser, ein Standing zu haben. Wenn du anfängst, herumzueiern, könntest du dir selbst schaden. Besser, du weißt an dieser Stelle schon, wie du mit deiner Erkrankung umgehen willst. 

Es gibt keine Offenlegungspflicht. Du darfst deine seelische Erkrankung verschweigen. Sowohl im Vorstellungsgespräch als auch am Arbeitsplatz. Es steht dir sogar zu, im Vorstellungsgespräch bei Fragen zu diesem Thema zu lügen

Anschreiben: seelische Störung angeben? 

Der erste Schritt, bevor du überhaupt anfängst, mit einem neuen Job, ist zumeist das Schreiben einer Bewerbung. Eventuell fragst du dich, ob du schon in diesen Unterlagen, also im Anschreiben oder Lebenslauf, auf deine Situation aufmerksam machen solltest.

Die Frage ist: Mit welchem Ziel würdest du das tun? Möchtest du von vornherein Transparenz schaffen? Oder hast du die Befürchtung, dass deine Erkrankung so offensichtlich ist, dass du sie besser gleich offen ansprichst? Sozusagen den Elefanten im Raum benennst?

Nachvollziehbare Gründe. Allerdings hast du so keinen Einfluss auf den/die Empfänger:in deiner Botschaft. Dein Glück ist davon anhängig, wie der/die Leser:in selbst zu der Thematik steht. Wohlwollend oder eher ablehnend. Du kannst nicht eingreifen, dich nicht erklären. Du hast keinen Einfluss darauf, was sich der/die Leser:in ausmalt.

Nehmen wir wieder die Zwangsstörung als Beispiel. Du möchtest das eventuell zur Sprache bringen, weil du denkst, dass deine Zwänge so offensichtlich sind, dass sie nicht unbemerkt bleiben werden.  Das mag sein, oder auch nicht. Dennoch wäre mein Tipp – Stelle deine Störung nicht in den Vordergrund. Wenn du im Anschreiben oder Lebenslauf darauf hinweist, gibst du nicht nur die Deutungshoheit ab, sondern du lenkst automatisch Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teil von dir.

Sicherlich möchtest du aber vielmehr für deine Fähigkeiten und Talente gesehen werden. Diese sollten im Rampenlicht stehen, denn eine Bewerbung ist immer auch ein Werben für sich selbst.

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Versteh mich nicht falsch: Eine seelische Erkrankung ist absolut nichts, wofür du dich schämen musst! Aber würdest du in einer Bewerbung schreiben, dass du beispielsweise nur ein Bein hast, kreisrunden Haarausfall oder eine Brille brauchst? Eher nicht, oder? 

Klinikaufenthalte im Lebenslauf

Seelische Störungen können auch mal einen Aufenthalt in der Psychiatrie notwendig machen. Mitunter dauern die auch länger. Vielleicht hattest du sogar Urlaubssemester deswegen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie du diese Zeit in deinem Lebenslauf darstellen kannst. Es steht dir selbstverständlich offen, deine Klinikaufenthalte darzulegen.

Again, behalte im Hinterkopf, du willst für dich Werbung machen. Hilft es dir, deinem potenzielle:n Arbeitgeber:in diese Information zu geben, oder nicht? Was könnte der/die Arbeitgeber:in im Worst Case daraus schlussfolgern? Erhöht es deine Chancen, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden?

Falls du dich entscheidest, die Klinikzeiten zu kaschieren, kannst du das Urlaubssemester entweder unter den Tisch fallen lassen, oder du setzt sie in einen neuen Rahmen. Beispielsweise kannst du neutral von einer tatsächlich einfach schreiben „Urlaubssemester“. Solltest du dann darauf angesprochen werden, darfst du lügen.

Es steht dir frei, die Erkrankung und Pflege eines Familienmitglieds vorzuschieben. Dass es dabei um dich geht, geht niemandem etwas an. Oder vage bleiben und von persönlichen Gründen sprechen. Du bist niemandem Rechenschaft schuldig. Fühl dich da frei. 

Das Bewerbungsgespräch

Herzlichen Glückwunsch, du hast es ins Bewerbungsgespräch geschafft. Das heißt, du konntest mit deinem Anschreiben und deinem Lebenslauf überzeugen. Hervorragend! Nun steht dir wieder die Option offen: Ansprechen oder nicht? Und wieder der Hinweis: Was erwartest du dir davon? Mit welchen Konsequenzen (positiv und negativ) kannst du rechnen? Welche Vorteile erwartest du dir aus der Offenlegung?

Best Case

  • Im Gespräch kannst du deine Erkrankung erklären und eventuelle Vorurteile ausräumen
  • Verständnis und möglicherweise sogar Entgegenkommen vonseiten des Unternehmens

Worst Case

  • Ablehnung, Stigmatisierung und Unverständnis
  • Ausscheiden aus dem Bewerbungsprozess

Es ist schwierig, die Situation im Bewerbungsgespräch richtig einzuschätzen. Natürlich ist es auch wichtig die, Verhältnismäßigkeit im Blick zu behalten. Wie schwer ist deine Erkrankung? Wie stark beeinträchtigt sie dich im Alltag? Kannst du abschätzen, wie viel Einfluss sie auf deinen Job haben wird? Holen dich beispielsweise immer wieder schwere depressive Episoden ein, die dich aus der Bahn werfen? Oder leidest du an Dysthymie, also einer chronischen Depression, und bist mittlerweile geübt im Umgang mit deiner seelischen Störung? Auch diese Fragen fallen bei deiner Entscheidung ins Gewicht. 

An dieser Stelle möchten wir dir ganz allgemein noch einmal die (möglichen) Vor- und Nachteile aufzeigen, damit du anhand dieser einen guten Weg finden kannst. Fällt es dir dennoch schwer, ist es besser, die Erkrankung im Bewerbungsprozess außen vorzulassen. Ohne ein eigenes Standing wird es dir schwerfallen, dein eigener Advokat zu sein. Denn genau das musst du sein, dein eigener Fürsprecher, um erfolgreich zu sein. Nicht nur, wenn es um das Thema Bewerbung geht, sondern ganz generell im Leben. 

Versuche, dich realistisch einzuschätzen. Was kannst du leisten und was wird dich überfordern? Der Grat zwischen Ansporn und Überforderung kann schmal sein. Ein absehbar sehr stressiger Job ist deiner seelischen Beeinträchtigung eventuell nicht zuträglich. 

Also, hier zusammengefasst, die möglichen Vor- und Nachteile, wenn du deine:n (potenzielle:n) Arbeitgeber:in über eine psychische Erkrankung informierst. 

Vorteile:

  • Verständnis und Unterstützung: Wenn dein:e (portenzielle:r) Arbeitgeber:in über die Erkrankung Bescheid weiß, kann sie/er besser auf deine Bedürfnisse eingehen. Dies könnte flexiblere Arbeitszeiten, die Möglichkeit von Homeoffice oder Anpassungen der Arbeitsbelastung umfassen.
  • Stressreduktion: Das Verbergen deiner psychischen Erkrankung kann zusätzlichen Stress verursachen, insbesondere, wenn Symptome auftreten und du dir ständig Sorgen machen musst, entdeckt zu werden. Eine offene Kommunikation kann diesen Druck verringern.
  • Frühzeitige Unterstützung bei Krisen: Wenn dein:e Arbeitgeber:in über die Erkrankung informiert ist, kann sie/er möglicherweise frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um eine Verschlechterung der Situation zu vermeiden.
  • Förderung einer positiven Unternehmenskultur: Durch das Teilen von Informationen über psychische Gesundheit kann das Unternehmen zu einem besseren Verständnis und mehr Offenheit gegenüber psychischen Erkrankungen beitragen.

Nachteile:

  • Stigmatisierung und Diskriminierung: Im Bewerbungsgespräch besteht die Gefahr, dass du nicht eingestellt wirst. Bist du schon im Unternehmen, können dir Vorurteile begegnen oder Karrierechancen verweigert werden.
  • Auch den Flurfunk, also das Gerede hinter deinem Rücken, kannst du nur sehr schwer beeinflussen, denn sei dir bewusst, sagst du es einer Person, wird es im Zweifelsfall die gesamte Firma erfahren.
  • Eventuell begegnen dir Kollegen abweisend.  
  • Falsche Annahmen oder Missverständnisse: Es besteht die Gefahr, dass der/die Arbeitgeber:in die Erkrankung möglicherweise missinterpretiert oder dass er/sie deine Leistungen negativer beurteilt.
  • Fokussierung auf die Erkrankung anstatt auf deine Fähigkeiten, Stärken und Potenzial
  • Beendigung des Bewerbungsprozesses, Absage

Ob es sinnvoll ist, den/die Arbeitgeber:in über eine psychische Erkrankung zu informieren, hängt abgesehen von diesen Punkten, noch von weiteren Faktoren ab:

  • die Art und Intensität der Erkrankung,
  • der Unternehmenskultur und
  • deinem Vertrauen in den/die Arbeitgeber:in.

Eine sorgfältige Abwägung der potenziellen Vor- und Nachteile hilft dir, die richtige Entscheidung zu treffen.

Was kann dir im Umgang mit deiner Beeinträchtigung helfen?

  • Selbstreflexion und Offenheit: Es kann hilfreich sein, sich selbst klarzumachen, wie deine psychische Erkrankung dich bisher beeinflusst hat und welche Stärken daraus erwachsen sind. Stelle diese Stärken gerne in den Vordergrund. Sollte unvermutet das Gespräch darauf fallen, kannst du über die Darstellung deiner Bewältigungsstrategien Stärke vermitteln.
  • Betone deine Fähigkeiten und Erfolge: Statt dich auf die Erkrankung zu konzentrieren, kannst du deine Fähigkeiten und Erfolge hervorheben, die du trotz der Herausforderungen erzielt hast.

(Barmer/Bundesministerium für Gesundheit/AOK/CHHI) 

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