Was ist ein Trauma?
Du bist bestimmt schon mal über Social-Media, oder andere Medien, mit Videos in Berührung gekommen, in denen Menschen von ihren Traumata berichtet haben. Vielleicht hast du dir dabei gedacht: wow, wusste nicht, dass das schon als Trauma gilt, ich kann total relaten – oder im Gegenteil: es können doch nicht so viele Menschen traumatische Erfahrungen gemacht haben?!
Ganz gleich, welche Option auf dich zutrifft: das Thema Trauma betrifft uns irgendwie alle. Wieso? Weil es wirklich sehr viele Personen gibt, die sie erlebt haben, mehr als wir denken, und weil die Wahrscheinlichkeit, dass du selbst schon mal traumatische Erfahrungen gemacht hast, mit voranschreitendem Alter immer mehr zunimmt.
Aus einer Studie der Allgemeinbevölkerung in Konstanz, unter der renommierten Traumatologin Maggie Schauer, ging hervor, dass 70 % der 17-Jährigen schon so viel Traumatisches erlebt haben, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit in ihrem weiteren Leben an Traumafolgestörungen erkranken könnten. Bei den 25-Jährigen waren es schon 80 %.
Vielleicht ist es deswegen so wichtig, sich mit dem Thema zu befassen und zu wissen:
- Was ist ein psychologisches oder seelische Trauma?
- Wie entsteht ein Trauma?
- Was sind die körperlichen und psychischen Folgen davon?
- Was kann man tun, um Traumata zu heilen?
Definition: Was ist ein psychologisches oder seelisches Trauma?
Trauma kommt vom Griechischen und heißt übersetzt ‚Wunde‘. Neben den körperlichen Traumata, bspw. Schädel-Hirn-Trauma, gibt es auch die seelischen Traumata, bei denen Betroffenen eine tiefe psychologische Wunde zugefügt wurde. Das Problem bei den seelischen Traumata ist: Sie sind für Außenstehende nahezu unsichtbar und nicht selten auch für die Menschen, die unter ihnen leiden.
Eine psychologische Wunde entsteht durch schreckliche Erlebnisse, die Spuren hinterlassen. Diese Ereignisse heruntergebrochen zu definieren, ist aber sehr schwierig. Zwar gibt es in der klinischen Psychologie bestimmte Marker, die zum Einsatz kommen, um abzuklären, ob eine Situation auf Menschen allgemein traumatisierend wirken könnte, in der Praxis lässt sich das aber ganz objektiv nicht sagen, weil jede Person das, was ihr passiert, ganz subjektiv wahrnimmt. Das heißt: Eine schreckliche Situation kann für den einen Menschen traumatisierend wirken, für den zweiten nicht so sehr und für den dritten Menschen gar nicht.
Traumata können entstehen aus:
- Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch – und das körperlich und/oder emotional – in der frühen Kindheit, Kindheit und Jugend
- sexuellen Übergriffen
- jeglichen Formen der Gewalt: körperlich, seelisch etc.
- Lebensbedrohlichen Situationen, wie Kriegs-, Nahtod-, Umweltkatastrophen-Erfahrungen
Hard Fact: Auch Zeugenschaft belastet
Du musst diese Situationen nicht selbst erlebt haben, um davon traumatisiert zu werden. Auch, wenn du nur zufällig anwesend bist, also diese Ereignisse als Zeug:in miterlebst, können sie bei dir zu einem Trauma führen.
Wie genau entsteht ein Trauma?
Traumata entstehen aus einem grundlegenden Ohnmachts- und Unsicherheitsgefühl, wenn dir sprichwörtlich die Beine unter dem Po weggerissen werden – und das so plötzlich und überraschend, dass du es eben nicht kommen siehst.
Situationen, die zu einem Trauma führen, sind immer unvorhersehbar und gerade deswegen so schockierend: du konntest dich körperlich und emotional absolut nicht darauf vorbereiten. So ein Ereignis erschüttert die menschlichen Grundpfeiler und kann Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Geborgenheit, Unversehrtheit und auch Freiheit stark verletzen oder sogar zunichtemachen.
Was in traumatischen Erlebnissen bleibt, sind Unsicherheit, Ohnmacht und das Gefühl des kompletten Kontrollverlustes. Und genau diese negativen Emotionen können dann immer wieder hochkommen, wenn Traumata getriggert werden.
Folgen: Wie reagieren Körper und Psyche auf ein Trauma?
Nicht jedes Trauma führt automatisch zu Traumafolgestörungen, wie PTBS, Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen oder anderen. Das liegt an der Subjektivität der Erlebnisse: wie einschneidend, schwerwiegend und dementsprechend traumatisierend wir sie empfinden, wissen/fühlen nur wir selbst. Und natürlich hängt es auch davon ab, wie resilient wir sind, wie gut unsere Selbstschutz- und Verdrängungsmechanismen funktionieren.
Fakt ist aber, dass traumatisierende Situationen uns, wenn auch oft nur unterbewusst, prägen. Ein bestimmter Geruch, eine bestimmte Location, ein bestimmtes Geräusch löst in dir Unbehagen aus? Dann verbindest du damit ein sehr negatives Ereignis, dein Körper/deine Psyche erinnert sich unterbewusst daran und sendet dir Warnsignale – das kann eine Folge von Traumata sein.
Übrigens können nicht nur extrem große und extrem schwerwiegende ‚Wunden‘ zu Traumafolgestörungen führen, sondern auch viele kleine. Die sog. Building-Block-Theorie geht davon aus, dass eine Ansammlung von mehreren, vielleicht gar nicht so schwerwiegenden, traumatisierenden Erlebnissen in der Summe auch irgendwann zu Traumafolgestörungen führen kann. Wieso? Weil das Fass schlicht irgendwann mal voll ist, ob durch eine riesige Sache oder durch viele kleine – voll ist voll.
Hast du traumatische Situationen erlebt, kann es zu den folgenden körperlichen und mentalen Symptomen kommen:
- Unbehagen
- Zittern
- Angstzustände
- Panikattacke
- Schweißausbrüche
- Schlafstörungen
- Magen-/Darmprobleme
- depressive Verstimmung
Sie zeigen sich oft, nachdem negative Erlebnisse durch irgendwas getriggert wurden, bspw. Geräusche, Gerüche, Locations etc.
Erkennst du eines oder mehrere dieser Symptome über einen längeren Zeitraum (in bestimmten Situationen) bei dir wieder und denkst, du könntest ein Trauma erlitten haben, das dich nicht loslässt, dann such dir Hilfe bei psychologischem Fachpersonal.
Das ist extrem wichtig, weil du vermutlich nicht genau sagen kannst, wie voll dein persönliches Trauma-Fass schon ist, und ob du gefährdet bist, eine Traumafolgestörung zu erleiden. Und das will, glaube ich, niemand – also: Safety first.
Was kann man tun, um Traumata zu heilen?
Jetzt kommen wir zum unangenehmen Teil, bei dem ich von Anfang an ehrlich mit dir sein muss: so wirklich ganz, also zu 100 %, lässt sich ein Trauma nicht heilen. Es wird immer ein kleines bisschen davon zurückbleiben, ABER: man ist mittlerweile in der Lage durch diverse Therapienformen dafür zu sorgen, dass Traumata gut verarbeitet werden können und man lernt bei den Therapien auch ein glückliches Leben zu führen.
Wichtig für den Verarbeitungsprozess ist aber bei allen Formen einen Schritt auf den Schmerz zuzugehen, denn die negativen Emotionen sind oft blockiert, müssen offengelegt und gefühlt, quasi rausgelassen werden, um sich mit ihnen auseinandersetzen und sie loslassen zu können – und ja, das kann an die Substanz gehen. Es führt aber längerfristig dazu, dass du lernst besser mit deinen Wunden umzugehen und sie dich nicht mehr einschränken.
Wie kannst du starten, einen Schritt auf den Schmerz zuzugehen? Indem du dir professionelle Hilfe suchst – vor allem bei Traumata wirklich ratsam. Dadurch bist du dann auch schlicht nicht mehr alleine mit deinen Wunden, sondern hast jemanden, der dich leitet, deine Ängste und Sorgen ernst nimmt und dich bei der Aufarbeitung unterstützt.
Eine der bekanntesten und wohl auch wirksamsten Traumatherapien ist die sog. Narrative Expositionstherapie, bei der, wie der Name schon andeutet, über Gespräche das eine oder die verschiedenen Traumata ausfindig gemacht wird/werden, um sie zu lösen. Dabei werden erstmal ganz objektiv über einen Fragebogen verschiedene Bereiche abgegangen, um herauszufinden, wo traumatische Erlebnisse stattgefunden haben, dann wird gemeinsam mit der Fachperson eine Art Lebenslinie gelegt (Schnur, Kordel), auf der positive (Blumen) und negative Ereignisse (Steine) positioniert werden.
Potenziell traumatisierende Erlebnisse sind dabei die Steine, die durch die Visualisierung auf der Lebenslinie zeitlich eingeordnet werden können. Es folgen dann Gespräche über die negativen Situationen, die von dem/der Psycholog:in, Berater:in oder Co. aufgeschrieben werden, um sie zu Beginn der Folgesitzung vorzulesen, durchzugehen und zu ergänzen.
Oft können Dinge oder Situationen erst verarbeitet werden, wenn wir über sie reden. Das liegt daran, dass Menschen kommunikative Wesen sind, die den Austausch und ein Gegenüber brauchen – ebenfalls das Gefühl gesehen zu werden.
Warten auf einen Therapieplatz? Was kannst du tun?
Therapieplätze sind derzeit Mangelware und trotz Überweisung und Co. kann es mehrere Monate dauern, bis du einen bekommst. Zwischenzeitlich kannst du aber schon mal anfangen dich zu öffnen und zu reden, über das, was dir passiert ist – mit einer vertrauten Person.
Warum Traumata ein so aktuelles Thema sind?
Uns passieren in unserem Leben fast allen weirde, verrückte, erschreckende und schreckliche Sachen. Das gehört irgendwie dazu, und je älter wir werden, desto mehr davon haben wir erlebt – auch Positives!
Traumata können sich bei allen von uns entwickeln, bei dir selbst, deiner besten Freundin, deinem Bruder, deiner Cousine, deinem Lebensgefährten. Nicht bei allen von uns werden daraus Traumafolgestörungen – es wird nicht mal allen von uns bewusst sein, dass wir traumatische Erfahrungen gemacht haben, die uns viell. unterbewusst belasten.
Traumata sind die unsichtbaren Mitläufer unserer Gesellschaft, wir sehen sie nicht, aber sie sind da. Vielleicht sollten wir genau deswegen noch mehr Verständnis füreinander aufbringen und mehr füreinander da sein, nicht nur als Liebespaar, Familie oder Freund:innen, sondern auch als Mitmenschen – wir wissen nämlich nicht, was für schreckliche Dinge jemand anderes erlebt hat, wie voll sein/ihr Fass ist und mit welchen unsichtbaren Dämonen er/sie tagtäglich kämpft. Und seien wir mal ehrlich: Ein Lächeln oder ein offenes Ohr haben noch keinem geschadet.
(deutsche Traumastiftung/verywellhealth/SRF Sternstunden Schauer/SALI)