Wie ist das Leben mit ADHS?
Johnatan (Name geändert) ist ein sympathischer junger Mann. Mittlerweile ist er 29 Jahre alt, hat das Abitur mit Bravour bestanden, ein abgeschlossenes Pharmaziestudium hinter sich und startet jetzt bei einem großen Pharma-Unternehmen im Qualitätsmanagement durch.
Im Interview mit uns spricht er über seine Erfahrungen und das Leben mit Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung - kurz ADHS.
Kann man ADHS erkennen?
Ja und nein. Es gibt zwar Symptome, die einen Rückschluss auf ADHS zulassen, doch dabei handelt es sich um alltägliche Verhaltensweisen, die im Leben eines Menschen auch durch andere Faktoren, Ereignisse und Lebensumstände hervorgerufen werden können.
Und das macht es auch für Experten so schwierig, ADHS zu diagnostizieren. Mediziner bewegen sich daher stets auf einem schmalen Grat zwischen „Treffer“, Lucky Guess und Fehleinschätzung.
Mögliche Symptome für ADHS können sein:
- Aufmerksamkeitsstörungen und Konzentrationsmangel
- Hyperaktivität/Ruhelosigkeit
- Schlechtes Zeitmanagement
- Gesteigerte Impulsivität
- Niedriges Frustrationslevel
- Ungeduld
- Erhöhtes Suchtpotenzial
Ist ADHS eine Kinderkrankheit?
Fälschlicherweise geht man oftmals davon aus, dass ausschließlich Kinder und Jugendliche davon betroffen sind. Eine Fehlannahme, denn ADHS verwächst sich nicht. Die Verhaltensstörung bleibt auch im Erwachsenenalter fortbestehen.
Nur haben Erwachsene sich aufgrund ihrer gesammelten Lernerfahrungen gewisse Strategien angeeignet, um mit ADHS besser umzugehen, um so ihren Alltag besser bewältigen zu können.
Früher hat man ADHS als Krankheit verstanden: Die Verhaltensstörung passte nicht in das Bild eines klassischen Arbeiters im System des Kapitalismus. Heutzutage würde man eher von Neurodivergenz sprechen.
Wann hast du selbst gemerkt, dass du unter ADHS leidest?
Leider erst im Erwachsenenalter. Viel zu spät habe ich mich mit der Thematik ADHS auseinandergesetzt. Im Internet bin ich lustigerweise eigentlich eher durch Zufall, denn aus Interesse auf einen Artikel gestoßen, der mir die Augen öffnete. Viele im Artikel beschriebenen Verhaltensweisen und Muster konnte ich auf mich projizieren.
Was meinst du konkret damit?
Ich war in der Schulzeit beispielsweise oftmals unorganisiert, kam regelmäßig zu spät und handelte oftmals sehr impulsiv. Das heißt: Ich habe mich schnell von zufälligen Dingen provozieren lassen und rotgesehen. Konflikte habe ich dann oftmals mit den Fäusten geregelt.
Des Weiteren war ich oftmals unkonzentriert, was sich insbesondere in Schulaufgaben und Klausuren bemerkbar machte – da hagelte es Leichtsinnsfehler ohne Ende.
Am Verständnis oder der Intelligenz den Stoff oder die Aufgabenstellung zu verstehen, fehlte es mir nie.
Du hast dein Abitur vor 10 Jahren gemacht. War das eine große Herausforderung für dich?
Nein, eigentlich nicht. Das habe ich relativ gut gemeistert. Das lag aber zu einem Großteil auch daran, dass der Schulalltag von früh bis spät geregelt war und die Lehrer in gewisser Weise auch Druck gemacht haben, Deadlines einzuhalten.
Wie ging es nach deinem Abschluss für dich weiter?
Ich habe mich für ein Pharmaziestudium in München entschieden. Da ist mir ADHS dann auf die Füße gefallen. Es gab keine treibende Kraft mehr, die mich motiviert hat, Fristen einzuhalten.
Ich war auf mich alleine gestellt, habe zu viele Dinge aufgeschoben, habe andere Prioritäten gesetzt und sinnlos sehr viel Zeit verplempert.
Wann kam für dich die Wende?
Das ging so weit, dass ich beinahe meinen Studienplatz verloren hätte. Darüber hinaus hatte ich aus irgendeinem Grund eine Spielsucht entwickelt und eine hohe Summe im vierstelligen Bereich verzockt. Das Geld war futsch und ich mental angeschlagen.
Ich habe dann schon gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann, wusste mir aber nicht zu helfen. Ich stand mir selbst im Weg – das ist wahrscheinlich eine der größten Tücken der „Krankheit“.
In einem Gespräch habe ich mich dann meiner jüngeren Schwester anvertraut. Sie hat mich in dieser schwierigen Phase unterstützt und mir den Weg für meine Therapie geebnet, indem sie mir einen Termin bei einem Neurologen besorgt hat.
Was hat sich nach dem Termin beim Neurologen für dich geändert?
Eine Menge. Ich meine, der Wille etwas zu ändern, war ja bereits vorhanden, es haperte nur an der Umsetzung. Und dazu habe ich schlichtweg die Hilfe von Außen benötigt.
Nur der Weg dorthin, die Hilfe anzunehmen, war nicht immer einfach. Doch irgendwann ist der Knoten geplatzt und ich habe begriffen, dass ich mir nur so mein Leben zurückholen kann. Das war, wie ich denke, letzten Endes auch das Ausschlaggebende.
Bist du auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen?
Das nicht, aber sie haben einen positiven Einfluss. Am Anfang der Therapie habe ich Methylphenidat oder bekannt als Ritalin genommen. Für Erwachsene ist das Handelspräparat Medikinet zugelassen.
Beides erhöht die Konzentrationsfähigkeit enorm. Durch die Einnahme des Präparats bleibt man auf seine Tagesziele fokussiert und erledigt Dinge, die man sonst wahrscheinlich aufschieben würde.
Wie gehst du heute mit der „Krankheit“ um?
Ich habe gelernt, dass ich mich anpassen muss. Ich kompensiere meine Schwächen und weiß, meine Stärken effektiv zu nutzen.
Ergänzend achte ich auf eine gesunde Ernährung – Ich versuche nach Möglichkeit meinen Organismus immer mit ausreichend Vitaminen und Mineralien wie Magnesium zu versorgen.
Vielen Dank für das Gespräch!
(THWA)