Auszeit

Selbstfindung bei einer Pilgerreise?

Junger Mann mit Backpack und Wanderstock vor Santiago de Compostela.
Auf einer Pilgerreise zu dir selbst finden? (Foto: ©stock.adobe.com/Armando Oliveira)
Das Studium hat dich so richtig geschlaucht und du willst mal raus und wieder zu dir zu finden. Vielleicht ist eine lange Wanderung genau das Richtige für dich.
Mittwoch, 17.07.2024, 10:56 Uhr, Autor: Christine Hintersdorf

Pilgern, das tun Menschen schon seit vielen Jahrhunderten überall auf der Welt. Unter diesen Begriff versteht man im Allgemeinen eine spirituelle Reise hin zu einem in irgendeiner Weise religiösen oder heiligen Ort. Historisch gesehen, gab es einige Gründe zum Pilgern: um Buße tun, als Dank, als geistliche Reise, um ein Gelübde zu erfüllen oder Ablass für begangene Sünden zu erhalten. 

Letzteres ist heute eher selten, alle anderen Gründe sind immer noch aktuell. Spätestens seit Hape Kerkeling vor einigen Jahren sein Buch „Ich bin dann mal weg“ auf dem Markt brachte, ging der Boom hierzulande los. Kerkeling hatte seine eigene Wanderung in Spanien auf dem Jakobsweg nacherzählt und damit Millionen Menschen begeistert.

Allein in meinem Freundeskreis sind schon 3 Leute nach Santiago de Compostela auf eben diesem Jakobsweg gelaufen. Und bis zum heutigen Tag ist der Boom ungebrochen

Warum Pilgerreisen?

Heute gehen viele auf eine lange Wanderung, um wieder zu sich selbst zu finden. Manche sind von ihrem Alltag erschöpft, haben lange Krankheiten hinter sich gebracht oder müssen ein schwieriges Lebensereignis verarbeiten. Tatsächlich ist die Idee, dann eine längere Zeit in Bewegung und mit sich allein zu sein, richtig gut.

Studien haben gezeigt, dass durch langes Laufen Stresshormone abgebaut werden und dafür im Gegenzug Glückshormone ausgeschüttet. Der gesamte Organismus kommt in Bewegung. Das ist natürlich für den Körper ideal. Das Wandern stärkt neben der Muskulatur vor allem auch dein Herz und deine Lunge. Auch die Durchblutung wird gefördert.

Für deinen Körper ist das Pilgern also eigentlich eine großartige Geschichte. Warum nur eigentlich? Weil jede:r Pilger:inn die ersten Tage (innerlich) fluchend zubringt. Blasen an den Füßen, Schmerzen im ganzen Körper. Alles tut weh. Wenn du nicht gerade mega-geübt im lange Laufen bist, wirst auch du dieses Schicksal erfahren. 

Mentale Stärke gewinnen durch Wandern

Auch deine Psyche profitiert enorm. Sich Zeit für sich selbst zu nehmen, ist sehr wichtig. In der Hektik und Lautstärke unseres Alltags hören wir uns oft selbst nicht mehr. Wir hetzen von einem zum anderen. Klausuren, Prüfungen, Lerngruppen und dann vielleicht noch ein Nebenjob. Viel Zeit, um auf sich selbst zu achten, bleibt da nicht. 

Um so wertvoller ist es, wenn du dich einfach mal komplett rausnimmst, für einige Tage oder Wochen. Gerade im Alleinsein liegt die Faszination vom Pilgern.

Es ist nämlich gar nicht so einfach, mit sich und seinen Gedanken allein zu sein. Es mit sich selbst aushalten zu müssen. Die Gefühle nicht mit Medien oder sozialen Kontakten übertünchen zu können. Selbstreflexion braucht Ruhe und Zeit. 

Die Bewegung ändert auch unserer Art des Denkens. Neue Perspektiven können sich öffnen – Probleme sich besser lösen lassen. Wenn wir eine Lebenssituation verlassen, gönnen wir uns den Blick von außen auf unser Leben. So eine Perspektivenänderung kann sehr hilfreich sein. Manche Probleme werden schon allein dadurch kleiner.

Nicht zuletzt verhindert die Bewegung, in ein Dauergrübeln zu verfallen. Nicht nur dein Körper wird beweglicher, sondern auch dein Kopf. Wenn du zu Hause auf deinem Sofa verharrst, ist es viel schwieriger, in einen aktiven Denkfluss zu gelangen, vielmehr wirst du zunehmend mit kreisenden Gedanken malträtiert.

Welche Pilgerreisen gibt es?

Kommt ganz darauf an, worauf du Bock hast. Du kannst hier in Deutschland einen Weg finden, aber auch in Europa oder der ganzen Welt. Fangen wir mal klein an: Deutschland. Wir haben für dich ein paar schöne Wege zusammengesucht, es gibt aber noch sehr viel mehr: 

  • Der Lutherweg: Diesen Weg soll Luther 1521 gegangen sein. Und zwar von Worms bis zur Wartburg bei Eisenach. Diese rund 400 km führen dich durch fünf Bundesländer.
  • Der Eifelsteig: Die Laufstrecke beträgt hier circa 313 Kilometer. Los geht es in Aachen. Du kommst am größten noch intakten Hochmoor Europas vorbei.
  • Die Bonifatius-Route: Hier läufst du von Mainz nach Fulda. Das sind ungefähr 182 km. Namensgeber dieser sehr beliebten Route ist der Wanderprediger Bonifatius. Allerdings lief er ihn im Gegensatz zu Luther nicht selbst, sondern er wurde getragen. Genaugenommen, sein Leichnam wurde auf diesem Weg von einer Domstadt in die andere transportiert.
  • Der Ökumenische Pilgerweg in Sachsen und Thüringen: Bei diesem Weg wirst du zahlreiche Herbergen finden, denn er zählt zu den meist-gelaufenen und gehört zum Jakobsweg. 466 km reicht die Reise, von Görlitz nach Vacha. 
  • Der Mosel-Camino Pilgerweg: Gehört ebenfalls zum Geflecht der Jakobswege. Startpunkt ist Koblenz und geht entlang der Mosel bis nach Trier. Das sind dann etwa 160 km
  • Jakobsweg Via Baltica: Der alte baltisch-westfälische Pilgerpfad startet in Usedom und führt über 700 km nach Osnabrück.

Im Schnitt läuft man 20 km am Tag. Je nachdem wie trainiert du bist, kann es natürlich mehr oder weniger sein. Somit kannst du grob ausrechnen, wie lange du für eine Route brauchst. Mit der Zeit wirst du aber auch immer fitter und schneller.

Welche Pilgerwege gibt es in Europa?

Der Jakobsweg ist wirklich die Mutter aller Pilgerwege in Europa. Über 40 Varianten gibt es, um schlussendlich in Santiago de Compostela in Spanien anzukommen. Eigentlich kannst du in praktisch jedem europäischen Land mit dem Camino de Santiago starten. 

Bedenke, zu welcher Jahreszeit du aufbrichst. Niemand will im Hochsommer in Spanien wandern. Frühjahr oder Herbst sind deutlich angenehmer. 

Die Allermeisten beginnen ihn aber in Spanien auf der hochmittelalterlichen Hauptverkehrsachse Nordspaniens in Saint-Jean-Pied-de-Port. Viele Menschen sind den Weg zum Grab des Heiligen Jakobus in den vergangenen Jahrhunderten schon gelaufen und bis heute ist er verhältnismäßig überrannt2023 waren es 446.035 Menschen. Das mit dem Alleinsein wollen könnte zur Herausforderung werden.

Die am meisten gewählte Route ist der Camino Francés. Das sind rund 900 km zum Laufen. Allerdings durch flaches Gelände, das zumindest keine akrobatischen Anforderungen an dich stellt, wie einen Klettersteig. Es gibt im Internet auch unzählige Erfahrungsberichte, wenn du was zur Einstimmung brauchst.

Bevor du losläufst besorgst du dir unbedingt für 5 Euro den Pilgerpass, der gewährte dir später Zutritt zu den Herbergen und ist eine schöne Erinnerung!

Neben den Jakobswegen gibt es noch andere wunderschöne Routen.

  • Großbritannien: Wales Coast Path mit 1.400 km insgesamt. Er verläuft an der gesamten Küste des Landes. Du bist immer am Meer und siehst alles von Süden bis Norden im UK. 
  • Norwegen: St. Olavsleden ist auch bekannt als der Jakobsweg Skandinaviens. In Grunde ist auch das eher ein Netz aus Wegen. Beliebteste Route ist von Olso nach Trondheim mit 643 km. Der Weg ist durchaus anspruchsvoll, mit Höhenunterschieden von bis zu 1.000 m. Am Schluss stehst du dann vor dem St.-Olavs-Schrein im Nidarosdom.
  • Italien: Via Francigena führt dich direkt ins Herz der katholischen Kirche, nach Rom zum Grab des Apostels Paulus. Los gehst du aber im britischen Canterbury. Auf 1.600 km durchquerst du zahlreiche Länder und wandelst auf antiken Straßen.
  • Österreich: Benediktweg reicht von Oberösterreich bis nach Slovenien und ist etwa 315 km lang. Er zählt zu den Anfängerwegen.
  • Ungarn – Frankreich: Der Martinusweg führt einmal quer durch Mitteleuropa von Ungarn, Slovenien, Italien bis nach Frankreich. Meistens werden nur Abschnitte davon begangen. Vom Geburtsort des heiligen Martin im ungarischen Szombathely bis zu seiner Grabstätte im französischen Tours sind es an die 2.500 km. Ein Teil davon führt durch die Alpen.

Was kostet eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg?

Diese Frage ist natürlich schwierig zu beantworten. Das berühmte "kommt darauf an" ist hier am Start. Je nachdem, wo du deine Reise machen möchtest, sind natürlich immer die Kosten der An- und Abfahrt einzuberechnen.

Auch die Ausrüstung muss bezahlt werden. Ohne Schlafsack, Isomatte, Wanderklamotten und Schuhe sowie einen guten Rucksack wird das nichts. Willst du ein Zelt? Zack, nochmal Geld ausgegeben.

Bist du dann einmal unterwegs, fallen natürlich Gebühren für Unterkünfte an. öffentliche Pilger-Herbergen kosten meistens zwischen 5 und 20 Euro. Allerdings können diese laut und unbequem sein. Oft handelt es sich um Mehrbettzimmer mit fragwürdigen Betten. Günstig sind sie aber.

Gibt es keine solchen Herbergen, können für dich noch Hostels oder Zeltplätze attraktiv sein. Beides ist auch verhältnismäßig günstig. Hier kannst du schon ab 30 Euro einen Schlafplatz finden. Häufig ist das kostenlos Zelten vor den Herbergen erlaubt. Auf den bekannten Pilgerrouten bieten auch öfter Privatleute Zimmer an. Mitunter haben diese dann sogar einen Wäscheservice inkludiert. Was großartig ist, willst du am Ende deiner Reise nicht stinken wie ein Iltis. 

Die Verpflegung fällt ebenfalls noch stark ins Gewicht. Dafür solltest du pro Tag mindestens 10 bis 15 Euro Minimum einrechnen. Es gibt sogenannte Pilgermenüs, das sind drei Gänge mit Wein oder Bier für 10 bis 15 Euro, mit Brotkorb und Wasser, welche in den Herbergen gerne angeboten werden. Oft hast du auch die Möglichkeit, selbst zu kochen. Zwischendurch bieten sich auch immer Kraftriegel oder Ähnliches an, die könntest du schon in Deutschland kaufen.

Insgesamt kommen so pro Tag locker mindestens 30, aber eher 50 Euro auf dich zu. Vergiss nicht die kleinen Souvenirs, die sich jeder gerne kauft, oder das Eis am Wegesrand, vielleicht mal ein Hotel, um wirklich gemütlich zu schlafen, Museen... Es gibt jeden Tag neue Möglichkeiten, Geld loszuwerden. 

Lass es uns das kurz durchrechnen: Camino Frances= 900 km – das sind bei 20 km/Tag genau 45 Tage

45 Tage x 30 Euro = 1.350 Euro absolutes Minimum

45 Tage x 50 Euro = 2.250 Euro

Was brauchst du für deine Pilgerreise?

Damit deine Reise optimal funktioniert, benötigst du ein paar Dinge. Wir haben für dich eine Liste mit den wichtigsten Utensilien zusammengestellt.

Ausstattung:

  • Wanderrucksack: dieser sollte möglichst sehr leicht sein und bequem
  • Wanderschuhe: Lauf sie vorher ein! Am besten nimmst du welche, die über den Knöchel reichen, das schützt vorm Umknicken.
  • Leichtes Essgeschirr aus Alu oder Kunststoff, Trinkflasche
  • Schlafsack und Isomatte
  • Regenkleidung, Hitzeschutz (Hut + Sonnenbrille)
  • Wanderkleidung
  • Sonnencreme, Pflaster, Blasensalbe/Pflaster, Wundcreme
  • Hygieneartikel 
  • Mircofaser-Handtuch, weil es einfach schneller trocknet
  • Badelatschen
  • Plastiktüten zum Schutz vor Nässe oder für Schmutzwäsche
  • Handy
  • Magnesium gegen die Wadenkrämpfe, Schmerztabletten

Was ist sonst noch wichtig

  • Pilgerausweis
  • Personalausweis oder Reisepass
  • Krankenversichertenkarte/Auslandskrankenversicherungsnachweis
  • Notfalltelefonnummern
  • Bargeld und Visakarte
  • Sicherheitstasche, wie zum Beispiel einen Bauchgürtel 

Buchtipps zum Einstimmen:

Hape Kerkeling: Ich bin dann mal weg

Raynor Winn: Der Salzpfad

 Andy Merrifield: Die Weisheit der Esel

(Neurologen und Psychiater im Netz/deutschlandpilgert/Camino Tours/Wanderzentrale/CHHI)

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