Jung, Abi in der Tasche und jetzt?
„Bravo! Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur“, sagte sie und überreichte mir mein Abschlusszeugnis. So oder so ähnlich endete meine Schulzeit nach 13 langen Jahren. Stolz wie Bolle stand ich auf der Bühne und nahm das Zeugnis entgegen, fühlte mich wie ein Champion, frei und war glücklich.
Vom strahlenden Sieger zum tragischen Verlierer
Doch das Glücksgefühl währte nicht lange. Denn auf die Frage, die mir jetzt gestellt wurde, war ich nicht vorbereitet. „Schon eine Idee, wie es nun für dich weitergehen soll?“, fragte meine Schulleiterin, während sie mir die Hand für das obligatorische Erinnerungsfoto schüttelte.
Die große Ratlosigkeit
Die Frage hatte gesessen. Sie erwischte mich kalt, denn ich war absolut nicht darauf vorbereitet gewesen. Obwohl ich sonst immer recht schlagfertig gewesen war, musste ich jetzt passen.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keinen blassen Schimmer, was ich auf diese Frage antworten sollte. Irgendetwas musste mir doch einfallen. Aber da kam nichts.
Ratlos stand ich da und wünschte mir, diese Frage nie gestellt bekommen zu haben. Die Tage und Wochen zogen ins Land, die Zeit verging, aber die Ratlosigkeit blieb.
Die zündende Idee – das FSJ in Offenbach
Als ich eines Abends beim Abendessen von meinem Vater erneut damit konfrontiert wurde, was ich beruflich machen will, gab es für mich nur die Flucht nach vorne. Ich erklärte selbstbewusst:
„Ganz ehrlich. Ich glaube, ich brauche eine Auszeit, um mir darüber klar zu werden, was ich eigentlich will. Auch in diesem Umfeld fühle ich mich nicht mehr wohl. Ein Ortswechsel könnte nicht schaden. Und weil ich gerne Theater spiele, hab ich mir gedacht, dass ich doch ein FSJ im theaterpädagogischen Bereich bei dem Verein Peoples Theater e.V. in Offenbach am Main machen könnte.“
Verdutzt guckte er mich an, runzelte kurz die Stirn und sagte dann wider Erwarten: „Gut, wenn du das machen willst, dann unterstütze ich dabei“.
Die Bewerbungsphase
Gesagt, getan. Gleich am nächsten Morgen griff ich zum Telefonhörer und nahm Kontakt mit dem Verein auf. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine freundliche Stimme, die mir mitteilte, welche Unterlagen sie für den Bewerbungsprozess von mir benötigte: Anschreiben, Lebenslauf, Schulzeugnisse sowie ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis.
Nachdem die Unterlagen verschickt waren, dauerte es nicht lange und ich saß in Anzug und Schlips im ICE Richtung Frankfurt am Main. (Ich war etwas overdressed, wie sich herausstellte: Aber da es mein erstes richtiges Bewerbungsgespräch war, wollte ich mich von meiner besten Seite präsentieren – auch kleidungstechnisch.)
Der Aufwand hatte sich gelohnt, denn einige Tage nach meinem Vorstellungsgespräch erhielt ich die Zusage für das FSJ, das gegen Ende der hessischen Sommerferien beginnen sollte.
Ankunft und erster Eindruck am Einsatzort
Am Anreisetag lernte ich alle anderen Freiwilligendienstleistenden kennen. Innerlich jubelte ich. Schließlich war ich der Hahn im Korb und umringt von einer Schar junger, attraktiver Frauen. Ich hatte das große Glück mit ihnen zu arbeiten, Spieleabende zu machen, zu kochen und in einer Wohngemeinschaft zusammenwohnen – Jackpot!
Erste WG-Erfahrung – Der Schritt in die Selbstständigkeit
Das WG-Leben mit sieben, später dann mit elf Mitbewohnern war schrill, bunt und chaotisch. Es war anstrengend, man kam irgendwie nie wirklich zur Ruhe. Nach der Arbeit ging es zum Einkaufen und auch die Hausarbeit erledigte sich nicht von alleine.
Eine Herausforderung, keine Frage. Und so lernte ich in den ersten Wochen und Monaten das „Hotel Papa“ zu schätzen, denn oftmals fehlte es an Dingen, die vorher so selbstverständlich waren.
Nichtsdestotrotz war diese Zeit wahnsinnig bereichernd. Und das in jeglicher Hinsicht. Während die einen gefühlt das erste Mal in ihrem Leben einen Kochlöffel schwangen oder sich grundlegendes technisches Know-how im Rahmen des kleinen Handwerker-Einmaleins aneigneten, reiften andere von jungen Wilden mit Hummeln im Hintern zu Erwachsenen mit klaren Wünschen, Vorstellungen und Zielen heran.
Die Arbeit bei Peoples Theater e.V.?
Die Arbeit bei Peoples Theater e.V. prägte mich ungemein. Sie brachte mich persönlich voran. Ich lernte sehr viel und das in einem Umfeld, das mich täglich mit neuen Herausforderungen konfrontierte. Wirklich kein Tag glich dem anderen. Deshalb machte die Arbeit auch unglaublich viel Spaß.
Als Freiwillige war es unsere Aufgabe, zusammen mit Kindern und Jugendlichen Konfliktbewältigungsstrategien zu erarbeiten und ihnen über das Medium des Schauspiels Werte wie Freundschaft, Respekt, Ehrlichkeit und Toleranz zu vermitteln.
In kurzen Theaterszenen spielten meine Kolleginnen und ich den Heranwachsenden diverse Konflikte vor, die am Konflikthöhepunkt gestoppt wurden. Die Szenen wurde dann im Plenum mit den Schülern besprochen.
Daraufhin war es ihre Aufgabe, nach Lösungen zu suchen, um die Unstimmigkeiten im Stück verbal zu klären. Letzteres durften die Schüler dann schauspielerisch erproben.
FSJ bei Peoples Theater – das Jahr meines Lebens!
Da gibt es so viele Geschichten, Anekdoten und Insider. Angefangen von der „Show mit dem Brot“ über „Mehmet mit der Milch“ bis hin zu Isys unangekündigter Konfetti-Party im WG-Wohnzimmer, die für Unmut und entgeisterte Blicke sorgte, weil wir zu dieser Zeit keinen funktionierenden Staubsauger besaßen. Das bedeutete: Alle Schnipsel mussten händisch wieder vom Boden aufgeklaubt werden. Aber Spaß beiseite.
Mein persönliches Highlight?
Mein persönliches Highlight war eigentlich, dass wir keinen Fernseher im Wohnzimmer hatten. Klar hatte jeder seinen Laptop dabei und einen Internetanschluss gab es auch, aber hätten wir einen Fernseher im Wohnzimmer stehen gehabt, dann hätte wahrscheinlich viel weniger Interaktion und Kommunikation stattgefunden.
Wir waren also gezwungen, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen. Beim Spielen von Brettspielen ebenso wie in Diskussionen oder ruhigen Momenten des Schweigens. Und so lernten wir uns kennen.
Also richtig kennen, nicht so wie im Chat auf Tinder, Lovoo oder Bumble. Am Ende des Jahres gab es so ziemlich nichts, was wir von den anderen nicht wussten. Aus Arbeitskolleg:innen und Mitbewohner:innen waren echte Freund:innen geworden.
Du bist noch unschlüssig, was du nach deinem Abi machen willst?
Vielleicht findest du ja einen geeigneten Praktikumsplatz auf unserer Jobbörse.
(THWA)