Kommentar

Spaß, Sinn, Selbstverwirklichung – neuer Jobtrend?

Junger Mann im Jeanshemd, der lacht und sich freut.
Du suchst deinen Traumjob? (Foto: ©stock.adobe.com/fizkes)
Fachkräftemangel, anspruchsvolle Arbeitnehmer:innen – eine Problemstelle. Gibt es einen Weg, sinnvolle, selbst verwirklichende Jobs und Zukunftsfähigkeit zu verbinden? Eine Spurensuche. 
Freitag, 11.10.2024, 10:30 Uhr, Autor: Sandra Lippet

In früheren Generationen war ein Job elementar fürs Überleben oder um für die Familie zu sorgen – Stichwort Eigenheim. Wenige haben sich damals Gedanken darüber gemacht, ob ihnen der Job wirklich Spaß macht oder gefällt. Gearbeitet wurde schlicht, um Geld zu verdienen.

Heute ist das anders. In meiner Generation und der Gen Z sind Sinnhaftigkeit, Spaß und Selbstverwirklichung ziemlich wichtig oder sogar essenziell bei der Jobsuche. Viele können sich absolut nicht vorstellen, Vollzeit in einem Bereich zu arbeiten, der ihnen nicht richtig taugt.

Das hat natürlich Einflüsse auf den Arbeitsmarkt – und kann sich auch negativ auf später auswirken, jedenfalls für diejenigen, die aufgrund der Spaß- und Sinnfaktoren einen Bereich wählen, der überlaufen, gehaltstechnisch unsicher oder schlicht nicht zukunftsfähig ist. Worin dabei das Problem liegt und was man dagegen tun kann?

Zu viele Ansprüche an die Arbeitswelt?

Ein Bombengehalt bei möglichst geringer Arbeitszeit, extra viele Urlaubstage, 100 % Homeoffice und von überall auf der Welt möglich, perfekte Work-Life-Balance, Firmenrabatte beim Fitnessstudio oder Mittagessen, Getränkebar, Kaffee mindestens aus dem DeLonghi Siebträger, Komplettpaket technischer Ausrüstung am besten von Apple und unbeschränkte Einteilung der Arbeitszeit – das sind nur einige der Ansprüche, die viele an einen Job stellen.

Denn er soll auch noch Spaß machen, nicht langweilig sein, einen weltbewegenden Sinn haben, bestenfalls zum Allgemeinwohl beitragen, angesehen sein und bitte noch zur persönlichen Selbstverwirklichung und Weiterentwicklung beitragen! Ganz schön viele Anforderungen an einen einzigen Arbeitsplatz, oder?

Versteh mich jetzt nicht falsch, denn Ansprüche zu haben und zu wissen, was man will, ist per se nicht schlecht – schlimm wirds nur, wenn man gar keine Kompromissbereitschaft an den Tag legt und Dinge gefordert werden, die an die Unmöglichkeit grenzen, weil einfach nicht umsetzbar.

Wir leben in einer Welt, in der eigentlich jede:r mit dem Grundsatz ‚Du kannst sein/werden, was oder wer du willst‘ aufgewachsen ist. Und wir nehmen uns selbst und unsere persönlichen Bedürfnisse, heute jedenfalls viel mehr als früher, schon für sehr wichtig – wichtiger als sie vielleicht sind?

Selbstverwirklichung zu welchem Preis?

Es scheint einen regelrechten Boom in den Arbeitsbereichen Coaching, Heilpädagogik und Influencing zu geben. Und natürlich bieten diese Felder den größtmöglichen Freiraum bei der Arbeitszeiteinteilung und auch der Spezialisierung, eben weil sie grundlegend als Selbständigkeit ausgeführt werden. Nur gibt es davon ein schieres Überangebot.

Mental-, Beziehungs-, Ernährungs-, Fitness-, Lebens-, Kindheitstraumata-, Meditations-, Schlaf- und Sex-Coaches schießen wie Pilze aus dem Boden. Influenzer:innen teilen öffentliche ihre Lebensgeschichten, Meinungen, Erfahrungen – mit bestimmten Situationen, Krankheiten oder Vorlieben, geben Tipps und Tricks für so ziemlich alles und stehen dabei selbst kontinuierlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. 

Fun fact!

Coach:in und Influenzer:in sind keine geschützten Berufstitel. Aus- oder Fortbildungen, Zertifikate oder Nachweise sind nicht erforderlich – einfach jede:r kann sich so nennen, ganz gleich, ob man in dem Bereich überhaupt Erfahrung vorweisen kann oder nicht.

Warum gerade diese Jobs im Trend sind ist klar: Themen, Interessen und den Sinn dahinter, bspw. Menschenleben verändern, sucht man sich selbst aus – und kann sich dabei eben prima selbst verwirklichen. Man ist sein:e eigene:r Chef:in, arbeitet wie und wann man will und oberflächlich betrachtet klingt das natürlich erstmal Spitze … nur sieht die Realität dann doch oft anders aus.

Wir nutzen alle Social Media, aber ich kenne kein einziges Lebewesen, das jemals wegen irgendwas einen Coach oder eine:n Heilpraktiker:in aufgesucht hätte. Wieso gibt es also so viele? Wie können sie sich gegen die Massen an Konkurrenz durchsetzen und genug damit verdienen, um sich ihr Leben leisten zu können? Und wie sieht die große Freude über sinnhaftes Arbeiten mit Spaß und Freiheit als Selbstständige:r später mal aus, wenn man ins Rentenalter kommt, aber kaum was eingezahlt hat?

Kurzlebigkeit vs. Zukunftsorientierung

Viele machen sich kaum oder einfach gar keine Gedanken über ihre berufliche oder persönliche Zukunft – also für den Zeitpunkt, wenn man dann mal so richtig alt ist, nicht mehr arbeiten kann oder eben in Rente geht. ‚YOLO‘ quasi. Selbstverwirklichung verspricht das kurze Glück im Hier und Jetzt, das ist alles, was zählt. Und das Später wird zu einem schulterzuckenden: Schauen wir mal, dann sehen wir schon.

Dabei gäbe es vor allem jetzt, Stichwort Fachkräftemangel, genügend sinnvolle Jobs, die sogar Spaß machen könnten: Lehrer:innen, Erzieher:innen, Fachpersonal in der Pflege, im medizinischen oder handwerklichen Bereich, um nur einige zu nennen. Und auch selbst verwirklichen könnte man sich da.

Händeringend suchen bestimmte Branchen nach jungen/jüngeren Arbeitskräften – finden aber einfach niemanden. Allerdings wären genau diese Jobs zukunftsfähig, in denen es derzeit an Personal mangelt, und bieten auf längere Sicht finanzielle Kontinuität und Sicherheit. Nur wieso sind sie für meine und die Generation Z so unfassbar unattraktiv? 

Wer Sinn sucht, findet ihn auch

Ich glaube, dass wir heutzutage ein größeres Verständnis dafür haben, nur einmal zu leben – und wir wollen es einfach richtig machen. Für uns, also unsere eigenen Erwartungen und Wünsche erfüllen, aber auch für andere, also auch Sinn stiften und etwas Wertvolles in dieser verrückten, immer kaputteren Welt beitragen. 

Wir wollen arbeiten, um leben zu können, nicht leben, um zu arbeiten. Wir wollen Fun und unseren persönlichen Interessen, Vorstellungen und Vorlieben nachgehen – und das eben auch im Beruf. Wir wollen uns nicht in die Arbeit quälen und den nächsten Urlaub herbeisehnen, wir wollen gerne arbeiten und etwas verändern. Verständlich, irgendwie.

Man könnte auch sagen: we wanna have it all – nur geht das eben gar nicht, jedenfalls nicht als Grundvoraussetzung. Sinnvoll können so viele Berufe sein, eigentlich jeder, denn den Sinn geben wir den meisten Dingen selbst:

  • Büroorga – sinnvoll, weil Chaosbeseitigung
  • auch mal von vor Ort arbeiten – sinnvoll, weil Kommunikation mit Kolleg:innen
  • schlechter Kaffee – sorgt immerhin für Gesprächsstoff.

Okay, der letzte Punkt ist Blödsinn, aber es kommt immer auch auf unsere Perspektive an. Wenn wir uns als produktive Mitglieder dieser Gesellschaft sehen und etwas verändern wollen, können wir uns unseren eigenen Sinn schaffen, uns und unsere Fähigkeiten einbringen und uns weiterentwickeln, es schadet aber nicht dafür auch mal Kompromisse einzugehen und nicht nur das YOLO, sondern auch das Später im Blick zu behalten.

Es gibt viele Berufe, die zukunftsfähig sind, dich absichern, sich einen Sinn geben lassen und trotzdem Spaß machen können – den perfekten Job, den gibt es aber tatsächlich selten. Aus Erfahrung kann ich sagen: es nervt immer was, ob es das Betriebsklima, manche Kolleg:innen, die Bezahlung, die Arbeitszeit, die Firmenethik oder wirklich der schlechte Kaffee ist – in jedem Beruf wird es Tage geben, an denen dich irgendwas oder einfach alles ankotzt, aber das ist das Leben. 

Versuch bei deiner Jobwahl auch auf dich und deine Zukunft zu achten, denn älter werden wir alle mal. Versuch einen Kompromiss einzugehen zwischen den Antworten auf die Fragen: Was kann ich? Was mag ich? Was will ich? – UND – Was wird gebraucht? Was sichert mich längerfristig ab? Vielleicht auch nicht mal nach dem Motto ‚Safety first‘, sondern einfach ‚Safety too‘ – und ansonsten halt YOLO.

(SALI)

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